Das Coronavirus legte in den vergangenen Monaten vermehrt Schwachstellen im Bereich der stationären Pflegeeinrichtungen offen. So zeigten sich nicht nur Mängel im Hinblick auf die Arbeitsbedingungen der Betroffenen, sondern auch in Sachen Hygiene und Infektionsschutz. Nach langen Verhandlungen erreichte nun der Betriebsrat des AWO-Seniorenzentrums in Recklinghausen eine Betriebsvereinbarung zur Maskenpflicht. Zusätzlich startete die Einrichtung ein Projekt zur Durchsetzung dienstlicher Arbeitskleidung in der Pflege.
“Betriebsvereinbarung zur Maskenpflicht und Projekt zur Durchsetzung dienstlicher Arbeitskleidung in der Pflege”
Auslöser des Projekts war eine Klage der Altenpflegerin Gabriele Gottsauner aus dem Seniorenzentrum Recklinghausen auf Bezahlung ihrer Berufskleidung. Sie vertritt – wie viele andere Pflegekräfte – die Auffassung, dass der Heimträger (AWO-Bezirk Westliches Westfalen e.V.) aus Gründen des Arbeits- und Infektionsschutzes verpflichtet ist, die Kosten für Berufskleidung zu tragen.
Denn während Pflegeheim-Angestellte im Bereich Hauswirtschaft und Küche mit dienstlicher Arbeitskleidung ausgestattet werden, welche vom Träger der Einrichtung nicht nur gestellt sondern auch gepflegt wird, ist die Situation in rund 80 Prozent der stationären Pflegeheime in Deutschland eine andere. Für gewöhnlich tragen die Beschäftigten stattdessen private Arbeits- oder normale Alltagsbekleidung. Ein großer Teil verlässt die Pflegeeinrichtung am Ende des Tages in derselben Kleidung, die auch während der Arbeitszeit getragen wurde. Weiterhin wurden durch die Coronakrise die unzureichenden Standards im Bereich Infektionsschutz und Hygiene insbesondere im Hinblick auf das Tragen von FFP2-Masken offensichtlich.
Arbeitskleidung im Alltag erhöht Infektionsrisiko
Für den Einsatz der FFP2-Masken erarbeitete das Gremium nach Gefährdungsanzeigen für die Angestellten und umfangreichen Literaturrecherchen bereits den Entwurf einer Betriebsvereinbarung. Längeren Atem beweisen musste der Betriebsrat hingegen bei der Durchsetzung einer Versorgung der Beschäftigten mit arbeitsschutzkonformer und hygienegerechter Kleidung. Deren Weg zog sich von der Einigungsstelle bis zur gerichtlichen Auseinandersetzung.
Der vertretende Rechtsanwalt, Birger Baumgarten, wies als Begründung der Klage vermehrt auf die entsprechenden arbeitsrechtlichen Bestimmungen hin. Bereits seit mehreren Jahren sei es diesen zufolge Pflegekräften nicht gestattet, Arbeitskleidung zum Reinigen mit nachhause zu nehmen. Denn durch das Verlassen der Einrichtung in Arbeitskleidung oder das Tragen von Straßenkleidung beim Ausrichten pflegerischer Tätigkeiten erhöht sich das Risiko einer Übertragung von Krankheitserregern. Besonders bei Pflegetätigkeiten werde stets davon ausgegangen, dass die Kleidung mit Erregern der Risikogruppe 2 kontaminiert werden könnte. Ein Urteil des Verwaltungsgerichtes Augsburg bewertete aus diesem Grund bereits 2017 das Tragen privater Kleidung für Beschäftigte in Pflegeeinrichtungen als unzulässig.
Aus diesem Grund sei der Heimträger nicht nur verpflichtet, Arbeitskleidung der Pflegefachkräfte täglich einzusammeln und desinfizierend zu reinigen; neueste wissenschaftliche Erkenntnisse verpflichten den Träger von Gesetz wegen außerdem dazu, Pflegekräften dienstliche Kleidung zur Verfügung zu stellen.
Ergebnisse und Nominierung für den Betriebsrätepreis 2021
Während der Gerichtsverhandlung nutzte der Betriebsrat des AWO-Seniorenzentrums in Recklinghausen verschiedene Instrumentarien, um beispielsweise mithilfe der Einbindung lokaler Medien und Veröffentlichungen in Fachmagazinen auf das Thema aufmerksam zu machen und so Druck auf den Arbeitgeber zu erzeugen – mit Erfolg:
Im Rahmen der gerichtlichen Auseinandersetzung erklärte der Arbeitgeber, der AWO-Bezirk Westliches Westfalen e.V., im Gerichtssaal seine Absicht, Pflegepersonal in allen seinen 58 Seniorenzentren mit dienstlicher Arbeitskleidung auszustatten. Die Einführung werde zunächst im Rahmen des mithilfe des Betriebsrats entwickelten„Projekts zur Durchsetzung dienstlicher Arbeitskleidung in der Pflege“ erprobt.
Der Betriebsratsvorsitzende im AWO-Seniorenzentrum Recklinghausen, Detlev Beyer-Peters, verbucht den Ausgang des Verfahrens weitestgehend als Erfolg: „Es stellt sich dann allerdings die Frage, warum der AWO-Bezirk Westliches Westfalen der klagenden Kollegin nicht die Kosten für 4 Garnituren Berufskleidung in Höhe von 149,70 € erstatten will.“
Neben der Einführung des Projekts zur Durchsetzung dienstlicher Arbeitskleidung in der Pflege setzte der Betriebsrat außerdem mit dem Abschluss einer Betriebsvereinbarung das Tragen von FFP2-Atemschutzmaske im Seniorenzentrum als Standard um. Für beide Maßnahmen ist das Gremium nun unter anderem für den deutschen Betriebsrätepreis 2021 nominiert.
AWO-Seniorenzentrum Recklinghausen
Das AWO-Seniorenzentrum in Recklinghausen ist Teil des AWO-Bezirks Westliches Westfalen e.V.
Bei diesem handelt es sich um einen Wohlfahrts-Konzern mit einem beherrschenden Einfluss auf insgesamt 40 Unternehmen (z.B. Reinigungsgesellschaften, Werkstätten für behinderte Menschen oder Kur- und Erholungsbetriebe), in denen derzeit rund 21.000 Beschäftigten angestellt sind. Eines der Unternehmen ist der AWO-Bezirk Westliches Westfalen e.V. selbst. Dieser beschäftigt derzeit rund 7.300 Angestellte in 58 Seniorenzentren, acht Pflegeschulen sowie einem ambulanten Dienst und ist somit der achtgrößte Betreiber von Pflegeheimen in ganz Deutschland.

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