Ist ein Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres länger als 6 Wochen ununterbrochen krank, hat Ihr Arbeitgeber ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) durchzuführen. Ziel ist es dabei, einen leidensgerechten Arbeitsplatz für den Betroffenen zu finden. Der Betroffene hat die Pflicht, sich auf das BEM sowie die neue Arbeit oder auch auf eine geringere Arbeitszeit einzulassen. Tut er das nicht, riskiert er eine Kündigung. Das geht aus einer aktuellen Entscheidung des Landesarbeitsgerichts (LAG) Berlin-Brandenburg hervor.
Arbeitgeber kündigt Arbeitnehmer krankheitsbedingt
Der Fall: Ein schwerbehinderter Arbeitnehmer erlitt einen Arbeitsunfall und erkrankte daraufhin dauerhaft. Nach 3,5 Jahren krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit kam der Arbeitgeber zu dem Schluss, dass keine Besserung mehr eintreten werde, und kündigte. Die Zustimmung des Integrationsamts hatte er vorher eingeholt.
Der Arbeitnehmer war mit der Kündigung nicht einverstanden. Er stellte klar, dass Ursache der weiteren Arbeitsunfähigkeit eine psychische Erkrankung sei. Die sei durch das Verhalten des Geschäftsführers ausgelöst worden. Wenn ein klärendes Gespräch stattfinde, könne die Krankheit überwunden werden. Zudem sei eine Entschuldigung des Geschäftsführers nötig. Der Arbeitnehmer monierte außerdem, dass der Arbeitgeber kein BEM durchgeführt habe. Es sei gar nicht nach einem leidensgerechten Arbeitsplatz gesucht worden.
Krankheitsbedingte Kündigung ist wirksam
Die Entscheidung: Das Gericht hielt die krankheitsbedingte Kündigung für wirksam (LAG Berlin-Brandenburg, 27.2.2019, Az. 17 Sa 1605/18). Die dauerhafte Erkrankung lasse eine negative Gesundheitsprognose für die Zukunft zu. Diese habe der Arbeitnehmer nicht entkräftet. Eine Beendigung der psychischen Beeinträchtigungen und der darauf basierenden Arbeitsunfähigkeit sei nicht absehbar.
Die Tatsache, dass kein BEM durchgeführt worden sei, habe hier auch im Rahmen der Interessenabwägung keine negativen Auswirkungen für den Arbeitgeber. Denn der Arbeitnehmer habe nachweislich jede Kontaktaufnahme verweigert. Deshalb müsse man davon ausgehen, dass er auch ein BEM abgelehnt hätte.
Häufigster Auslöser einer personenbedingten Kündigung ist der Ausfall eines Arbeitnehmers aufgrund krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Eine Krankheit als solche stellt zwar keinen Kündigungsgrund dar. Dennoch greifen viele Arbeitgeber schnell zur krankheitsbedingten Kündigung, wenn ein Arbeitnehmer krankheitsbedingt häufig oder für einen längeren Zeitraum ausfällt. Denn in einer solchen Situation steht bei ihnen schnell die wirtschaftliche Belastung im Fokus.
4 Fälle krankheitsbedingter Kündigung
Die Rechtsprechung unterscheidet bei den Ursachen für krankheitsbedingte Kündigungen 4 Fallgruppen: häufige Kurzerkrankungen, eine lang anhaltende Erkrankung, die krankheitsbedingte Minderung der Leistungsfähigkeit sowie eine dauernde Leistungsunfähigkeit des Betroffenen.
Wirksamkeitsvoraussetzungen einer krankheitsbedingten Kündigung
In allen 4 Fallgruppen müssen die Voraussetzungen für eine krankheitsbedingte Kündigung nach folgendem 3-stufigen Schema geprüft werden:
1. Stufe: Negative Gesundheitsprognose
Bei einer krankheitsbedingten Kündigung muss Ihr Arbeitgeber eine negative Prognose hinsichtlich des Gesundheitszustands eines Arbeitnehmers aufstellen. Zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung müssen also Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis auch eines künftig schlechten Gesundheitszustands des Betroffenen rechtfertigen.
! ACHTUNG: Bisheriger Krankheitsverlauf darf nur als Indiz herangezogen werden
Der bisherige Krankheitsverlauf wird lediglich als Indiz herangezogen. Fehlzeiten in der Vergangenheit lassen aber nicht zwingend den Schluss auf eine negative Prognose zu. Ist vielmehr festzustellen, dass die Krankheit zum Zeitpunkt der Kündigung bereits vollständig ausgeheilt war, ist diese unwirksam. Als Betriebsrat sollten Sie in diesem Fall der Kündigung in Ihrer Stellungnahme widersprechen.
Der Arbeitgeber wies die Behauptung, dass die psychische Krankheit durch den Geschäftsführer ausgelöst worden sei, von sich. Der Arbeitnehmer habe jede Kontaktaufnahme verweigert. Es sei deshalb davon auszugehen, dass er einer Einladung zum BEM nicht gefolgt wäre.
2. Stufe: Nicht mehr hinnehmbare wirtschaftliche Belastung
Die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses muss zu nicht mehr hinnehmbaren betrieblichen und wirtschaftlichen Belastungen führen. Dies wird bejaht, wenn entweder erhebliche Betriebsablaufstörungen oder immer wieder neue, in der Summe außergewöhnlich hohe Entgeltfortzahlungskosten zu erwarten sind.
3. Stufe: Interessenabwägung
Eine Interessenabwägung muss ergeben, dass Ihrem Arbeitgeber die Beeinträchtigungen unter Berücksichtigung des Einzelfalls nicht mehr zuzumuten sind, sein Interesse an der Kündigung also höher ist als das Interesse Ihrer Kollegin oder Ihres Kollegen am Erhalt des Arbeitsplatzes.
Tipp: Umorganisation in Betracht ziehen
BEM muss durchgeführt werden
Bevor Ihr Arbeitgeber das Vorliegen der Voraussetzungen einer krankheitsbedingten Kündigung prüft, muss er zur Vermeidung von Entlassungen grundsätzlich ein BEM durchführen (§ 167 Sozialgesetzbuch IX). Vom BEM kann er nach dieser Entscheidung allerdings ausnahmsweise absehen, wenn klar ist, dass die Durchführung keinen Erfolg haben wird, z.B. weil sich der Betroffene konsequent weigert, Gesprächstermine zu vereinbaren oder einzuhalten.
© 07/2019 VNR AG
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