Die Wahl der Schwerbehindertenvertretung steht kurz bevor (1.10.2018 bis 30.11.2018). Das möchte ich heute zum Anlass nehmen, Ihnen Ihre Aufgaben in Bezug auf Ihre schwerbehinderten Kolleginnen und Kollegen vor Augen zu führen. Denn schwerbehinderte Arbeitnehmer haben es im Arbeitsleben immer noch schwer. Sie haben häufig Schwierigkeiten, überhaupt einen Arbeitsplatz zu finden, und wenn sie einen solchen gefunden haben, werden sie häufig unter ihrem Qualifikationsniveau beschäftigt.
Als Betriebsrat sollten Sie sich nicht nur für die Beschäftigung von schwerbehinderten Arbeitnehmern einsetzen. Schließlich sind diese häufig sehr gut ausgebildet. Sorgen Sie auch dafür, dass Ihr Arbeitgeber all seine Verpflichtungen gegenüber schwerbehinderten Mitarbeitern einhält. Damit Sie das richtig tun können, müssen Sie Ihre Aufgaben im Hinblick auf schwerbehinderte Arbeitnehmer kennen.
Sie haben Ihren Arbeitgeber zu überwachen
Als Betriebsrat haben Sie stets die Aufgabe, darauf zu achten, dass Ihr Arbeitgeber die zugunsten der Beschäftigten geltenden Gesetze, Verordnungen und Tarifverträge sowie die Vorschriften des Arbeitsschutzes einhält.
Hinsichtlich Ihrer schwerbehinderten Kollegen kommen außerdem die Vorschriften im Sozialgesetzbuch (SGB) IX hinzu, auf die Sie zu achten haben. Diese regeln spezielle Rechte für diese Personengruppe, um Benachteiligungen in ihrem Arbeitsalltag zu verhindern. Damit Sie einordnen können, wer von den Rechten des SGB IX profitiert, sollten Sie zunächst wissen, wann und wie bei einem Betroffenen die Regelungen greifen.
Wann die Vorschriften für Arbeitnehmer gelten
Ob ein Kollege den Vorschriften unterfällt oder nicht, richtet sich nach rein objektiven Maßstäben. Ab einem Grad der Behinderung (GdB) von 50 liegt eine Schwerbehinderung vor; auf eine behördliche Anerkennung kommt es nicht an (§ 2 Abs. 2 SGB IX).
Beispiel: Ein Rollstuhlfahrer gilt als schwerbehindert – auch ohne einen entsprechenden amtlichen Ausweis.
Als Maßstab für die körperlichen, geistigen, psychischen oder sozialen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigung gilt im Schwerbehindertenrecht der GdB. Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigung werden dabei in Zehnergraden von 20 bis 100 gemessen (z. B. ein GdB von 50).
! ACHTUNG
Empfehlen Sie die offizielle Beantragung
Da sich aus einem Schwerbehindertenstatus zahlreiche Rechte für den Betroffenen und damit Pflichten für Ihren Arbeitgeber ergeben, sollte die Behinderung aber irgendwann amtlich festgestellt werden. Empfehlen Sie Kollegen, die einen schwerbehinderten Status bekommen könnten, diesen offiziell zu beantragen, damit sie zumindest den Ausweis haben.
Keine Anzeigepflicht
Ihr Kollege ist grundsätzlich nicht verpflichtet, Ihrem Arbeitgeber mitzuteilen, dass er einen Antrag auf amtliche Anerkennung seiner Behinderung gestellt hat. Erst wenn Ihr Kollege von den im SGB IX geregelten Sonderrechten profitieren will, muss er seinen Status offiziell bekannt geben. Eine solche Situation könnte sich z. B. im Fall von betriebsbedingten Kündigungen ergeben. Denn schwerbehinderte Arbeitnehmer genießen Sonderkündigungsschutz.
Wie Ihr Kollege einen offiziellen schwerbehinderten Status erreicht
Um als schwerbehindert anerkannt zu werden, muss Ihr Kollege einen Antrag an das örtlich zuständige Versorgungsamt richten. Dazu muss er dann einige Unterlagen – etwa Atteste – beilegen und sich eventuell auch untersuchen lassen. Die Behörde bestimmt danach den GdB und stellt ggf. einen Schwerbehindertenausweis aus.
! ACHTUNG
Arbeitnehmer muss eventuell Behinderung beweisen
Das alles ist Sache Ihres Kollegen. Er ist für das Vorliegen einer Behinderung darlegungs- und beweispflichtig. Und wenn seine Behinderung nicht offensichtlich ist, wird ihm die Darlegung ohne offizielles Dokument nicht gelingen. Weisen Sie Kollegen, die sich für die Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises interessieren, auf diese Pflichten hin.
Gleichgestellte nicht vergessen
Es gibt auch Arbeitnehmer, die zwar keinen GdB von mindestens 50 haben, aber trotzdem besonders schutzwürdig sind. Denn sie können sich teilweise aufgrund einer Behinderung nicht gegen nicht behinderte Kollegen behaupten.
Weil sie an verschiedenen schweren Erkrankungen leiden, führt das dazu, dass sie mehr als gesunde Kollegen am Arbeitsplatz ausfallen oder nicht in Vollzeit arbeiten können. Ist das der Fall, werden sie auf Antrag den Schwerbehinderten gleichgestellt.
Das setzt voraus, dass sie mindestens einen GdB von 30 haben. In diesem Fall können sie bei der Agentur für Arbeit die Gleichstellung beantragen. Allerdings wird eine Gleichstellung nur gewährt, wenn der Arbeitsplatz des betroffenen Kollegen konkret gefährdet ist. Der Vorteil in einem solchen Fall ist, dass Gleichgestellte am Arbeitsplatz fast den vollen Schutz des Schwerbehindertenrechts genießen. Lediglich die Vorschriften über den Zusatzurlaub gelten nicht für Gleichgestellte.
Diese Überwachungspflichten sollten Sie wahrnehmen
In Bezug auf Ihre schwerbehinderten Kolleginnen und Kollegen ist es Ihre Aufgabe sicherzustellen, dass Ihr Arbeitgeber
- seiner Beschäftigungspflicht nach § 154 SGB IX und
- der Förderung des beruflichen Fortkommens schwerbehinderter Arbeitnehmer nachkommt sowie
- dass er für eine schwerbehindertengerechte Gestaltung des Arbeitsplatzes des Betroffenen und der Arbeitsorganisation sorgt (§ 164 SGB IX).
Sollten Sie Mängel feststellen, fordern Sie Ihren Arbeitgeber auf, sein Verhalten zu ändern.
Tipp: Auf Bußgeld hinweisen
Zeigt sich Ihr Arbeitgeber nicht einsichtig, weisen Sie ihn darauf hin,
dass bei Verstößen gegen das SGB IX ein Bußgeld in Höhe von bis zu
10.000 € fällig werden kann.
Neben der Überwachung Ihres Arbeitgebers gehört es zu Ihren allgemeinen Aufgaben, die Eingliederung schwerbehinderter Arbeitnehmer sowie deren berufliches Fortkommen zu fördern. Dazu beantragen Sie am besten entsprechende Maßnahmen bei Ihrem Arbeitgeber.
Folgende Sonderrechte in Bezug auf die Beschäftigung schwerbehinderter Arbeitnehmer sollten Sie kennen:
Keine Kündigung ohne behördliche Zustimmung
Schwerbehinderte Arbeitnehmer genießen Sonderkündigungsschutz. Möchte Ihr Arbeitgeber einem schwerbehinderten Kollegen kündigen, benötigt er dafür zunächst die Zustimmung des Integrationsamts (§ 168 SGB IX). Ohne diese Zustimmung ist die Kündigung unwirksam.
Stellt Ihr Arbeitgeber einen Zustimmungsantrag beim Integrationsamt, dann ist dieses gehalten, innerhalb eines Monats eine Entscheidung zu treffen (§ 171 SGB IX). Sobald Ihr Arbeitgeber die Zustimmung bekommen hat, kann er sich mit einer Kündigung nur noch einen Monat Zeit lassen (§ 171 Abs. 3 SGB IX).
Außerordentliche Kündigung
Im Fall einer außerordentlichen Kündigung muss es noch schneller gehen: Die Zustimmung zu einer außerordentlichen Kündigung kann nur innerhalb von 2 Wochen ab dem Zeitpunkt beantragt werden, zu dem Ihr Arbeitgeber von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen erfahren hat (§ 174 Abs. 2 Satz 1 SGB IX).
! ACHTUNG
Frist einhalten
Verpasst Ihr Arbeitgeber diese Frist, wird das Integrationsamt einen späteren Antrag schon allein aus diesem Grund zurückweisen.
Das Integrationsamt muss seine Entscheidung innerhalb von 2 Wochen treffen, und zwar ab dem Tag, an dem der Antrag Ihres Arbeitgebers dort eingegangen ist. Wird innerhalb dieser Frist nicht entschieden, gilt die Zustimmung als erteilt (§ 174 Abs. 3 SGB IX). Ein weiterer Punkt in dieser Hinsicht ist, dass Ihr Arbeitgeber eine solche Kündigung dann unverzüglich nach Zugang der Zustimmung des Integrationsamts aussprechen muss (§ 174 Abs. 5 SGB IX).
Sonderkündigungsschutz greift erst nach 6 Monaten
Schwerbehinderte Arbeitnehmer profitieren allerdings nicht ohne Weiteres vom Sonderkündigungsschutz. Sie müssen gewisse Voraussetzungen erfüllen, damit ihre Kündigung erschwert ist.
So genießen lediglich schwerbehinderte Kolleginnen und Kollegen, die bereits seit 6 Monaten im Betrieb sind, Sonderkündigungsschutz. Des Weiteren ist Voraussetzung, dass Ihre Kollegen den Schwerbehindertenstatus haben offiziell anerkennen lassen. Weisen Sie als Betriebsrat Betroffene in Ihren Beratungen darauf hin!
Der besondere Kündigungsschutz greift zudem in den folgenden Fällen
- Der Arbeitnehmer hat einen Feststellungsbescheid, der ihm einen GdB von mindestens 50 bescheinigt.
- Der Arbeitnehmer hat einen Feststellungsbescheid, der zwar nur einen GdB von 30 bis weniger als 50 ausweist, er ist aber einem Schwerbehinderten gleichgestellt.
- Der Arbeitnehmer hat einen Feststellungsbescheid, der nur einen GdB von 30 bis weniger als 50 enthält. Er hat aber einen Gleichstellungsantrag mindestens 3 Wochen vor Ausspruch der Kündigung gestellt und er hat das Feststellungsverfahren nicht unnötig verzögert.
- Der Schwerbehinderte hat einen Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderung gestellt; das Verfahren läuft aber noch und die Entscheidungsfrist der Behörde ist abgelaufen; der Arbeitnehmer kann aber nichts für die Verzögerung.
Wann ein Kollege auf Schwerbehindertenstatus hinweisen muss
Haben Arbeitnehmer einen Schwerbehindertenstatus, müssen sie diesen Status nicht publik machen. Passiert es nun aber, dass Ihr Arbeitgeber einem Beschäftigten mit Schwerbehindertenstatus kündigt, stellt sich die Frage, ob die Kündigung wirksam ist oder nicht. Insoweit gilt: Ist eine Schwerbehinderung bereits offiziell anerkannt, ist eine Kündigung unwirksam.
FAZIT
Unwissenheit schützt Ihren Arbeitgeber nicht vor dem Greifen des Sonderkündigungsschutzes!
Um Ihre schwerbehinderten Kolleginnen und Kollegen so lange wie möglich im Arbeitsleben zu halten, müssen sie optimal gefördert werden. Dafür können und sollten auch Sie als Betriebsrat sich starkmachen. Schließlich verdienen es die Betroffenen, fachlich optimal eingesetzt zu werden.
Tipp: Betriebsvereinbarung
Ihr Arbeitgeber hat eine Menge Schutzpflichten gegenüber
schwerbehinderten Mitarbeitern. Leider hält er sich nicht immer daran.
Deshalb ist es sinnvoll, eine Betriebsvereinbarung zu schließen, welche
die Interessen und Rechte der Schwerbehindertenvertretung, des
Betriebsrats und des Arbeitgebers bündelt. Überlegen Sie zudem, ob Sie
sich nicht mit Ihrem Arbeitgeber einigen können, ein betriebliches
Regelwerk zu entwerfen, in dem die Schutzrechte für Ihre
schwerbehinderte Kolleginnen und Kollegen noch einmal festgeschrieben
werden.
Am besten können Sie sie fördern, wenn Sie sich jedes Arbeitsverhältnis eines schwerbehinderten Kollegen vornehmen und die folgenden Fragen für sich beantworten:
Übersicht: Schwerbehinderte Kollegen optimal fördern
Fragen | Handlungsmöglichkeiten |
Werden die Fähigkeiten und Kenntnisse eines schwerbehinderten Kollegen so weit wie möglich eingesetzt und genutzt sowie weiterentwickelt? | Fragen Sie hier bei den betroffenen Kollegen nach. Fühlen sich diese unterfordert oder überfordert? Wie könnte dem abgeholfen werden? |
Werden schwerbehinderte Kollegen ausreichend bei innerbetrieblichen und externen Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen berücksichtigt? | Dies können Sie durch eine Aufstellung nachprüfen: Wer war wann auf welcher Veranstaltung? |
Ist der Arbeitsplatz behindertengerecht eingerichtet? | Hat der Rollstuhlfahrer alles in Reichweite? Passt er mit seinem Rollstuhl ohne Weiteres durch die Türen? |
Ist der Arbeitsplatz mit den erforderlichen technischen Arbeitshilfen ausgestattet? | Sind sehbehinderte Kollegen mit der notwendigen Tastatur ausgestattet? Werden ergonomisch geformte Stühle und höhenverstellbare Schreibtische für Arbeitnehmer mit entsprechenden Rückenleiden angeboten? |
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