Lieferkettengesetz und Betriebsrat: Neue Verantwortung für Arbeitsbedingungen in der Lieferkette

26. November 2025
Betriebsrat bespricht Lieferkettengesetz und Sorgfaltspflichten für faire Arbeitsbedingungen mit Dokumenten

Das Lieferkettengesetz hat die Verantwortung deutscher Unternehmen grundlegend erweitert: Seit dem 1. Januar 2023 müssen Firmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten (ab 2024: mehr als 1.000 Beschäftigten) sicherstellen, dass in ihren globalen Lieferketten Menschenrechte und Umweltstandards eingehalten werden. Dieses als Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) bekannte Regelwerk verpflichtet Unternehmen zur Durchführung von Risikoanalysen, zur Einrichtung von Beschwerdeverfahren und zur Dokumentation ihrer Sorgfaltspflichten. Doch welche Rolle spielen dabei Betriebsräte? Können sie Einfluss nehmen auf die Arbeitsbedingungen bei Zulieferern in Bangladesch, Kambodscha oder Mexiko? Die Antwort lautet eindeutig ja – denn das Lieferkettengesetz eröffnet Arbeitnehmervertretungen neue Handlungsfelder und Mitbestimmungsmöglichkeiten. Von der Einbindung in Risikoanalysen über die Mitgestaltung von Beschwerdeverfahren bis hin zur Kontrolle der Umsetzung: Betriebsräte können eine zentrale Rolle bei der Durchsetzung fairer Arbeitsbedingungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette übernehmen. Dieser Beitrag zeigt, welche Verantwortung und Chancen sich daraus ergeben.

Was das Lieferkettengesetz für Unternehmen bedeutet

Das Lieferkettengesetz verpflichtet betroffene Unternehmen zu umfassenden Sorgfaltspflichten entlang ihrer Lieferketten. Dabei geht es nicht nur um direkte Zulieferer, sondern auch um mittelbare Geschäftspartner, sofern substantiierte Kenntnisse über Menschenrechtsverletzungen vorliegen. Die gesetzlichen Anforderungen sind klar definiert und weitreichend.

Zentrale Pflichten nach dem LkSG

Unternehmen müssen zunächst eine Risikoanalyse durchführen, die potenzielle Menschenrechtsverletzungen und Umweltrisiken in der Lieferkette identifiziert. Dazu gehören beispielsweise Kinderarbeit, Zwangsarbeit, Diskriminierung, Verstöße gegen Arbeitssicherheit oder unfaire Löhne. Außerdem müssen sie eine Grundsatzerklärung zur Achtung der Menschenrechte verabschieden und betriebsinterne Zuständigkeiten festlegen. Folglich sind präventive Maßnahmen zu ergreifen, um identifizierte Risiken zu minimieren – etwa durch vertragliche Zusicherungen von Lieferanten oder durch Schulungen.

Ein besonders wichtiger Bestandteil des Lieferkettengesetzes ist die Einrichtung eines Beschwerdeverfahrens. Betroffene Personen – sowohl im Inland als auch im Ausland – müssen die Möglichkeit haben, auf Missstände hinzuweisen. Unternehmen sind dabei verpflichtet, diesen Hinweisen nachzugehen und gegebenenfalls Abhilfemaßnahmen einzuleiten. Die Dokumentation aller Maßnahmen und die jährliche Berichterstattung an das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) runden die Pflichten ab.

Sanktionen bei Verstößen

Die Nichteinhaltung der Sorgfaltspflichten kann empfindliche Konsequenzen haben. Das BAFA kann Bußgelder von bis zu 8 Millionen Euro oder bis zu zwei Prozent des weltweiten Jahresumsatzes verhängen. Außerdem droht der Ausschluss von öffentlichen Aufträgen für bis zu drei Jahre. Deshalb nehmen viele Unternehmen die Umsetzung des Lieferkettengesetzes sehr ernst und bauen entsprechende Compliance-Strukturen auf.

Die Rolle des Betriebsrats beim Lieferkettengesetz

Während das Lieferkettengesetz selbst keine expliziten Mitbestimmungsrechte für Betriebsräte vorsieht, ergeben sich aus der betrieblichen Umsetzung dennoch zahlreiche Anknüpfungspunkte für die Arbeitnehmervertretung. Denn die praktische Durchführung der Sorgfaltspflichten betrifft häufig Bereiche, in denen der Betriebsrat nach dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) Informations- und Mitbestimmungsrechte besitzt.

Informationsrechte wahrnehmen

Zunächst hat der Betriebsrat ein allgemeines Informationsrecht nach § 80 BetrVG. Er kann vom Arbeitgeber Auskunft über die Umsetzung des Lieferkettengesetzes verlangen: Welche Risikoanalysen wurden durchgeführt? Welche kritischen Lieferanten wurden identifiziert? Welche Maßnahmen plant das Unternehmen? Diese Informationen sind wichtig, um die eigene Rolle als Interessenvertretung wahrzunehmen und gegebenenfalls auf Missstände hinzuweisen.

Außerdem können Betriebsräte darauf drängen, in die Erstellung der Risikoanalyse einbezogen zu werden. Denn oftmals verfügen Arbeitnehmervertreter über wertvolle Praxiskenntnisse – etwa durch Kontakte zu Beschäftigten bei Zulieferern oder durch Informationen aus internationalen Gewerkschaftsnetzwerken. Diese Perspektive kann die Qualität der Risikoanalyse erheblich verbessern.

Mitgestaltung des Beschwerdeverfahrens

Ein besonders wichtiges Handlungsfeld für Betriebsräte ist das betriebliche Beschwerdeverfahren. Wenn Unternehmen ein solches System einrichten, können Arbeitnehmervertreter auf verschiedene Weise mitwirken. Gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb. Folglich lässt sich argumentieren, dass die Gestaltung eines Beschwerdeverfahrens unter dieses Mitbestimmungsrecht fällt.

Der Betriebsrat kann deshalb darauf bestehen, dass das Beschwerdeverfahren niedrigschwellig, vertraulich und diskriminierungsfrei gestaltet wird. Außerdem sollte er darauf achten, dass Hinweisgeber wirksam vor Repressalien geschützt werden – sowohl im eigenen Betrieb als auch bei Zulieferern. Eine Betriebsvereinbarung zum Beschwerdeverfahren bietet die Möglichkeit, diese Standards verbindlich festzuschreiben.

Vernetzung mit internationalen Arbeitnehmervertretungen

Das Lieferkettengesetz eröffnet Betriebsräten auch die Chance zur internationalen Vernetzung. Viele große Konzerne verfügen über Europäische Betriebsräte oder Weltkonzernbetriebsräte, die sich über Ländergrenzen hinweg austauschen. Dabei können Informationen über Arbeitsbedingungen bei Zulieferern zusammengetragen und gemeinsam Verbesserungen eingefordert werden. Auch die Kooperation mit internationalen Gewerkschaftsverbänden wie IndustriALL Global Union kann wertvolle Einblicke in Lieferketten ermöglichen.

Globale Lieferkette mit Weltkarte und Symbolen für Lieferkettengesetz und Menschenrechtsstandards

Praktische Handlungsfelder und Mitbestimmungsrechte für Betriebsräte

Die Umsetzung des Lieferkettengesetzes betrifft verschiedene betriebliche Bereiche, in denen Betriebsräte aktiv werden können. Dabei ergeben sich konkrete Ansatzpunkte für Mitbestimmung und Gestaltung.

Schulungen und Weiterbildung

Viele Unternehmen führen im Rahmen des Lieferkettengesetzes Schulungen für Einkäufer, Lieferkettenmanager und weitere Beschäftigte durch. Nach § 98 BetrVG hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei der Einführung von Maßnahmen der betrieblichen Berufsbildung. Deshalb kann er darauf bestehen, dass Schulungen zum Lieferkettengesetz auch die Perspektive der Arbeitnehmer berücksichtigen und dass alle relevanten Mitarbeitergruppen einbezogen werden.

Außerdem können Betriebsräte selbst Schulungen zu Menschenrechten und Lieferketten besuchen. Gewerkschaften und zivilgesellschaftliche Organisationen bieten zunehmend Fortbildungen an, die Arbeitnehmervertreter für diese Themen sensibilisieren. Das so erworbene Wissen stärkt die Verhandlungsposition gegenüber der Geschäftsführung.

Lieferantenaudits und Kontrollen

Wenn Unternehmen Audits bei Zulieferern durchführen oder durchführen lassen, kann der Betriebsrat anregen, dass dabei auch Arbeitnehmervertreter vor Ort einbezogen werden. Während Management-Audits oft ein geschöntes Bild vermitteln, können Gespräche mit lokalen Gewerkschaften oder Arbeitnehmervertretern realistische Einblicke in die tatsächlichen Arbeitsbedingungen geben. Betriebsräte können deshalb darauf drängen, dass solche Perspektiven systematisch in die Bewertung von Lieferanten einfließen.

Einkaufsrichtlinien mitgestalten

Das Lieferkettengesetz erfordert oft Anpassungen in den Einkaufsprozessen. Wenn Unternehmen neue Richtlinien für die Lieferantenauswahl oder vertragliche Standards für Menschenrechte entwickeln, kann der Betriebsrat seine Expertise einbringen. Zwar hat er hier kein zwingendes Mitbestimmungsrecht – jedoch kann er durch konstruktive Vorschläge und durch Verweis auf die Berichtspflichten des Unternehmens Einfluss nehmen.

Besonders relevant ist dabei die Frage, ob Einkaufspreise und Lieferzeiten mit der Einhaltung fairer Arbeitsbedingungen vereinbar sind. Wenn Unternehmen Zulieferer mit unrealistischen Preisvorstellungen unter Druck setzen, führt dies häufig zu Lohndumping und Überstunden bei den Beschäftigten vor Ort. Betriebsräte können diesen Zusammenhang thematisieren und auf nachhaltige Beschaffungsstrategien drängen.

Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen

Viele Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Initiativen setzen sich für faire Lieferketten ein und verfügen über fundiertes Wissen zu spezifischen Branchen und Regionen. Betriebsräte können von dieser Expertise profitieren, indem sie Kontakte zu solchen Organisationen aufbauen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales bietet auf seiner Webseite umfangreiche Informationen zum Lieferkettengesetz und zu Unterstützungsangeboten für Unternehmen und Betriebsräte.

Fazit: Das Lieferkettengesetz als Chance für globale Solidarität

Das Lieferkettengesetz markiert einen Paradigmenwechsel in der unternehmerischen Verantwortung. Während früher die Geschäftsbeziehungen zu Zulieferern kaum rechtlich reguliert waren, müssen Unternehmen nun aktiv für die Einhaltung von Menschenrechtsstandards sorgen. Für Betriebsräte eröffnet dieses Gesetz neue Handlungsfelder, die weit über den eigenen Betrieb hinausgehen. Sie können sich für faire Arbeitsbedingungen einsetzen – nicht nur vor Ort, sondern entlang der gesamten Lieferkette. Dabei reichen die Möglichkeiten von Informationsrechten über die Mitgestaltung von Beschwerdeverfahren bis hin zur internationalen Vernetzung mit Arbeitnehmervertretern in Zuliefererländern. Zwar sieht das Lieferkettengesetz selbst keine expliziten Mitbestimmungsrechte vor – jedoch ergeben sich aus der praktischen Umsetzung zahlreiche Anknüpfungspunkte, die Betriebsräte nutzen können. Wer diese Chance ergreift, trägt dazu bei, dass globale Lieferketten nicht auf Ausbeutung basieren, sondern auf fairen und menschenwürdigen Arbeitsbedingungen. Das Lieferkettengesetz ist folglich nicht nur ein Compliance-Thema für Unternehmen, sondern auch ein Instrument für globale Solidarität und soziale Gerechtigkeit.

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